Interview Tinne und Elvis

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Das Interview führt unser Redakteur Steffen Montgomery.

 

Ich treffe mich mit Ernestine Nachtigall und Elmar Wissmann im LOMO, einem Mainzer Café mit Literatur-Flair. Zwischen raumhohen Buchregalen laden gemütliche Sessel und Sofas zum Verweilen ein, gelbe Lampen und niedrige Tische verströmen die Atmosphäre eines altmodischen Antiquariats.

 

Alle Köpfe drehen sich zur Tür, als ein ungleiches Paar eintritt. Pat und Patachon, muss ich unwillkürlich denken und verbeiße mir ein Grinsen. Ich kenne Ernestine Nachtigall und Elmar Wissmann zwar längst schon von Fotos, doch live hat ihr Auftritt wahre Grandezza:

 

Nachtigall ist groß und schlank, ihre Figur würde gut zu einer Kriegerin aus der nordischen Sagenwelt passen. Die lockigen Haare und die Augen sind allerdings dunkel, statt nordischer Kühle strahlt sie eine spöttische Ungezwungenheit aus. Es kommt mir vor, als würde Nachtigall ständig mit leicht gelupfter Augenbraue einen ironischen Kommentar auf der Zunge haben.

 

Elmar Wissmann hingegen ist die lebendige Umsetzung des Ausdrucks „Länge mal Breite“. Er reicht Nachtigall gerade bis zu den Achseln, hat aber wahrscheinlich das Doppelte an Masse. Seine Churchill-Backen werden von buschigen Koteletten gekrönt, und mir wird klar, warum dieser Mann von allen nur „Elvis“ gerufen wird. Er sorgt von vornherein für klare Verhältnisse und macht den Mund erst auf, als er zehn Minuten später ein Glas Riesling und ein Schinkensandwich vor sich stehen hat.

 

CdB: Frau Nachtigall, Herr Wissmann …

Tinne (winkt ab): Tinne, bitte.

Elvis: Und Elvis.

CdB: Ok, gerne. Also, Tinne, Elvis, für Sie zur Info: Der Club deutscher Buchprotagonisten stellt den Lesern Romanfiguren vor. Deshalb meine erste Bitte an Sie, quasi als Einleitung für alle, die Sie noch nicht kennen: Geben Sie uns einen kurzen Überblick über Ihre Vita.

Beide schauen sich an.

Tinne (mit einem Augenzwinkern und einer auffordernden Handbewegung): Auf, Elvis, du bist eh der Interessantere von uns beiden.

Elvis (kauend): Ich esse. Du erst.

Tinne: Ok, na dann … tja, ich heiße Ernestine Nachtigall, bin 1977 in Göttingen geboren, also kein Mainzer Urgestein. In Göttingen habe ich nach dem Abi eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht, später dann in Mainz Geschichte studiert. Nach einigen Jobwechseln bin ich wieder an der Uni gelandet, dort habe ich einen Lehrauftrag im Historischen Seminar, und, hm, das reicht so zum Überleben. (lacht) Ich wohne im Stadtteil Bretzenheim in einer WG zusammen mit zwei ziemlich schrägen Vögeln, einem Taxifahrer und einem Metallkünstler, die dafür sorgen, dass es auch zuhause nie langweilig wird. Ach ja, und Mufti, den Kommunenkater, den gibt es auch noch. So, Elvis, und jetzt du.

Elvis (legt widerwillig sein Sandwich zur Seite und nimmt einen Schluck Wein): Also, Elmar Wissmann, Jahrgang 1961, hier in Mainz geboren. Abi am Theresianum, danach Volontariat beim ZDF, dann ab nach Berlin, das muss … (rechnet nach) … 1984 gewesen sein. War ʼne wilde Zeit dort, hab als Roadie bei ʼner Band gejobbt, im Radio moderiert und Artikel für ein paar linke Blätter geschrieben, und nachts sind wir kiffend im Tiergarten herumgefallen. (lacht)

Tinne (starrt ihn an): Was?! Das … das hast du mir ja noch nie erzählt!

Elvis (zuckt die Schultern): Na ja, du musst ja nicht alles wissen, du reibst es mir dann doch bloß bei jeder Gelegenheit unter die Nase. Jedenfalls, 1989 bin ich hierher zurückgekommen, zur Rhein-Main-Presse, genauer gesagt zur Allgemeinen Zeitung, Lokalredaktion Mainz. Da bin ich heute noch. Ende.

CdB: Ihre jeweiligen Berufe, also Historikerin und Reporter, haben Ihnen bei Ihren Abenteuern sehr geholfen, oder?

Tinne: O ja, das ist richtig, wir haben uns da phantastisch unterstützt. Elvis hat ja ein geradezu phänomenales Netzwerk hier in Mainz, seine Kontakte und Bekanntschaften waren mehr als einmal Rettung in der Not. Ohne ihn und seine unerschöpfliche Adressliste hätten wir auf halbem Wege einpacken müssen.

Elvis: Und Tinne ist schon ein kluges Köpfchen, auch wenn man’s ihr nicht ansieht. Weiß viel über die Regionalgeschichte, hat einen Draht zu Fachleuten und Professoren, kann sogar lateinische Handschriften übersetzen. Das hat uns ordentlich weitergebracht, echt.

Tinne (ironisch): Elvis, das war ja so etwas wie ein Lob! Was ist los, steigt dir der Wein zu Kopf?

Elvis: Keine Angst, kommt so schnell nicht wieder vor.

CdB: Vielleicht können Sie unseren Lesern ein klein wenig von dem berichten, was Sie alles erlebt haben.

Elvis: Ui, da muss ich ja regelrecht ausholen. Also, wir haben die Spur einer Toten verfolgt, in Hexenprozess-Akten geblättert, ein Kirchenfenster entschlüsselt, ein mittelalterliches Bild durchsichtig gemacht, Knochen zum Sprechen gebracht, einen wilden Ritt im Untergrund hingelegt und sind ziemlich miesen Leuten auf die Füße getreten.

Tinne (verzieht das Gesicht): O ja, allerdings. Na, und dann sind wir in ein Kirchenarchiv eingebrochen, haben einen 400 Jahre alten Krimi neu aufgerollt und im Kloster Eberbach für Unfrieden gesorgt. Aber gemeinsam haben wir es geschafft, alle Puzzleteile zusammenzufügen und unsere Abenteuer mit heiler Haut zu beenden.

CdB: Sie haben einen Ghostwriter engagiert, Helge Weichmann, um all diese Erlebnisse zu veröffentlichen. Wieso dieser ungewöhnliche Schritt? Warum schreiben Sie nicht selbst?

Tinne: Na ja, es fehlt uns einfach an der nötigen Zeit. Schauen Sie, ich bin an der Uni komplett eingebunden, und Elvis rennt für die AZ von Termin zu Termin. Wie sollen wir da quasi nebenbei noch zig hundert Seiten dicke Bücher fertig kriegen?

Elvis: Außerdem ist das eine sehr bequeme Sache. Man muss nichts machen, hat aber immer jemanden, den man anpfeifen kann, wenn etwas nicht stimmt oder komisch klingt.

CdB: Aber sicherlich werden Sie bei Lesungen anwesend sein und ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, oder?

Beide schauen sich an und schmunzeln.

Elvis: Nee, das ist nicht so unser Ding. Das soll der Helge machen, der hat den ganzen Kram ja schließlich zu Papier gebracht.

Tinne: Andererseits, wer weiß – vielleicht sind wir bei der einen oder anderen Lesung inkognito dabei, irgendwo im Publikum, und hören uns alles an. Das wird spannend, da freue ich mich drauf!

CdB: Tinne, Elvis, vielen Dank für das Gespräch. Ich bin sicher, unsere Leser werden viel Spaß mit Ihnen und Ihren Abenteuern haben.

Tinne: Oh, gerne geschehen. Jederzeit wieder.

Elvis: Jaja, schon gut. Das Essen und den Wein zahlen aber Sie, oder?